Haushaltsrede 2021/2022 Bündnis 90 / Die Grünen

Wieder einmal wird der städtische Haushalt verabschiedet. Dies nimmt Ulla Schwinge-Haines zum Anlass, auf das zurückliegende und das bevorstehende Jahr zu schauen.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen des Stadtrats.


Vor einem Jahr habe ich noch die Haushaltsrede meines Kollegen Dr. Michael Frey stellvertretend vorgetragen. Anfang des Jahres 2021 ist Dr. Frey dann leider verstorben und wir vermissen ihn sehr. Seine ausgleichende und ruhige Mentalität fehlt auch hier im Stadtrat. Wenn er heute noch hier wäre, wäre er frustriert, dass viele Probleme geblieben sind oder sich auch noch verschärft darstellen.
Die abgeschlossenen Beratungen für den Haushalt 2022 konnten dank der Vorarbeiten von Herrn Zillner, Frau Biehler und dem Team der Finanzverwaltung in konstruktiver Weise durchgeführt werden. Umfängliche Diskussionen oder gar Auseinandersetzungen fanden dieses Jahr nicht statt.
Der Haushalt 2022 schließt ab mit einem Gesamtvolumen über 69 Mio. €. Davon entfallen auf den Vermögenshaushalt rund 13,3 Mio. €. Eine Entnahme aus der allgemeinen Rücklage von 8 Mio. € ist vorgesehen. Erfreulich ist, dass die Gewerbesteuer in diesem Jahr offensichtlich besser fließt als geplant. Diese Einnahmen, zusammen mit den Schlüsselzuweisungen, die – wie wir in diesen Tagen erfahren haben – mit fast 4,4 Mio € deutlich höher ausfallen als im Haushalt 2022 einberechnet, mit mehr als 1,5 Mio € zusätzlich, bieten eine gute Reserve als Spielraum für weitere Maßnahmen. Allerdings muss immer noch bedacht werden, dass mit finanziellen Belastungen durch die anhaltende Pandemie zu rechnen ist.
Uns Grünen stellen sich 4 große Themen: Klimaschutz und Erhalt unserer Landschaft, soziales Wohnen in Neusäß, der Bahnausbau und natürlich die Pandemie.


Klima:
Klimaschutz ist eines der großen Themen in unserer Zeit. Die Verzweiflung der jugendlichen Unterstützerinnen von Fridays for Future, die Starkregenereignisse und Überschwemmungen, aber auch das Votum der Wählerinnen bei den Bundestagswahlen zeigen, wie dringlich das Thema ist. Die Bürgerinnen wollen es nicht nur, sondern sie fordern es ein. Trotzdem taucht Klimaschutz in unserer kommunalpolitischen Arbeit kaum auf. Viele Bauvorhaben, seien es erfreuliche Firmenerweiterungen, Schaffung von Wohnraum oder Verbesserung des Straßen- und Radwegenetzes sind wohlüberlegt und gut begründet, aber kaum klimafreundlich. Unser Antrag für die Schaffung einer Stelle „Klimaschutzmanagement“ zielte darauf ab, dieses Dilemma zu lösen und alle uns zur Verfügung stehenden Hebel zu nutzen, Klimaschutz effektiv in den Fokus unserer Entscheidungen zu rücken. Auch Baumschutz gehört zum Klimaschutz! Unserem Antrag, den Zustand unserer regionalen Wälder durch die zuständigen Behörden und Förster vor Ort zu beurteilen, wurde nachgegangen. Nun müssen auch Taten folgen z.B. durch Waldumbau und Anpflanzung klimatoleranter Mischbaumarten. Und auch der Schutz der Bäume innerhalb unserer Stadtgrenzen ist nach wie vor ein ungelöstes Problem. Die Strategie, bestehende Bäume durch bildliche oder textliche Festsetzungen in Bebauungsplänen vor unüberlegten Fällungen zu schützen, greift in keiner Weise. Deshalb wird eine Baumschutz-verordnung doch unumgänglich sein und von uns wieder gefordert werden. In diesem Zusammenhang möchte ich mich aber im Namen meiner Fraktion sehr dafür bedanken, dass unserem Antrag nachgegangen wird, Baumfällungen, die von Seiten der Stadt nötig sind, in der Bevölkerung rechtzeitig und begründet anzukündigen.
Dies nimmt Konfliktpotential aus unserem Zusammenleben und schärft gleichzeitig den Sinn für sensibles Umgehen mit der wertvollen Ressource Baum. Auch das Überdenken des Individualverkehrs gehört zum Klimaschutz: Betrachtet man die Diskussionen in den Gremien der Stadt, dann erscheint gebetsmühlenartig immer wieder das gleiche Thema: Stellplätze! Die Schaffung von Wohnraum ist dem Stellplatzangebot untergeordnet. Gebäudehöhen hängen von der Größe der Tiefgaragen ab, die Situierung von Garagen beschränken die Freiflächen in den Grundstücken. Das alles müsste nicht sein. Denn die derzeit jungen und die zukünftig kommenden Generationen sehen diese Probleme als unnütz und störend an. Pragmatisch werden die neuen Möglichkeiten wie Carsharing, Fahrradmobilität in allen Variationen, Nutzung von Bahn-, Bus- und Straßenbahnverkehr per App zeitsparend genutzt. Individuell werden Wohnsituationen und beruflich oder private Notwendigkeit berücksichtigt. Fakt ist: in diesen Themen ist Potential und Dynamik. Dies sollten wir für Neusäß auch zulassen und über unsere gefassten Beschlüsse und Satzungen ergebnisoffener diskutieren. Sonst überholt uns der Zeitgeist – und das zu Recht! Die Ausführungen des Herrn Biedermann der SWA in der letzten Sitzung des Planungs- und Umweltausschusses waren hilfreich und sollten umgesetzt werden!

Soziales Wohnen und Zusammenleben in Neusäß:
Durch die Umwandlung des Zentralklinikums zur Uniklinik, durch die Nähe zur schönen und kulturell attraktiven Stadt Augsburg, unser gleichzeitig wunderschönes landschaftliches Umfeld und den teilweise dörflichen Charakter unserer Stadt, ist Neusäß zur hochbegehrten Wohnlage geworden. Die Grundstückspreise und Mieten haben ein Niveau erreicht, das sich Normal- und Geringverdienerinnen nicht mehr leisten können. Ist das wirklich das Ziel unserer Stadtentwicklung? Wollen wir ein zweites Starnberg werden? Sicher nicht!
Deshalb sollte unser Fokus deutlich mehr auf der Entwicklung von sozial verträglichem Wohnungsbau für bezahlbare Mietwohnungen und auf erschwinglicher Grundstücksvermarktung liegen. Die Entwicklung von Wohngebieten liegt in der Hand der Kommunen. Dieses Recht und diese Möglichkeiten sollten, erschwinglich für alle Geldbeutel, genutzt werden. Wahrscheinlich wäre besser gewesen, wir hätten die GWN nicht aufgelöst. Dann hätte die Stadt mehr direkten Einfluss auf Bauvorhaben, die gezielt sozial geförderten Wohnraum anstreben und auch zeitnah umsetzen. Bisher wurde diese Aufgabe von der Stadt nicht übernommen. Man setzt auf private Investoren.
So stellt sich der Bau von sozial gefördertem Wohnraum nur intransparent und schleppend dar. Auch die zukünftigen Vergaben dieses Wohnraums, wenn er denn mal verwirklicht ist, sind undurchsichtig oder noch gar nicht geklärt. Das sollte im Sinne der Gerechtigkeit und zu Gunsten der Planungssicherheit für die Berechtigten zügig geklärt und zugänglich gemacht werden. Wir fordern weiterhin 30% sozial geförderten Wohnraum in neuen Wohnanlagen.
In Bezug auf Wohnflächen für ältere Menschen und Pflegebedürftige ist Neusäß gut aufgestellt. Probleme bereitet es allerdings Plätze für Kurzzeitpflege und eine adäquate Beschäftigung und Unterbringung für jüngere Menschen mit Einschränkungen zu finden. Auch diesbezüglich werden wir Grünen im neuen Jahr Lösungen im Stadtrat suchen und hoffentlich mit der Unterstützung durch die anderen Fraktionen auch finden.


Mobilität und „Die Bahn“:
Der Ausbau des Angebots der Bahn und des ÖPNV um damit eine echte Alternative für umweltfreundliche Mobilität zu erlangen, ist ein hohes Gut und Ziel für uns Grüne. Natürlich unterstützen wir die Bahn dabei, wo immer wir können, weil sie auch ein Baustein für mehr Klimaschutz ist. Aber die Entscheidungen und die Pläne der Bahn der jüngsten Vergangenheit treffen bei uns auf Unverständnis: der unzureichende Umbau der Bahnsteige in Westheim und Neusäß, bei denen ein barrierefreier Zugang zu den Zügen möglich wird, nicht aber zu den Bahnsteigen! Ein Schildbürgerstreich! Das hat mit nachhaltigem Denken und Handeln nichts zu tun.

Auch die derzeitigen Pläne der Bahn sind nicht hinnehmbar! Die Durchschneidung der Stadt Neusäß durch den Neubau von weiteren 2 Gleisen mitten durch das Zentrum der Stadt und auch der Bau hoher Lärmschutzwände ist keine akzeptable Planung. Der seinerzeitige Beschluss des Ausbaus entlang der Bestandsstrecke ging von völlig anderen Annahmen aus. An diese Pläne fühlen wir uns nicht mehr gebunden. Nach gegenwärtigem Planungsstand spricht aus Neusäßer Sicht viel für die Strecke entlang der Autobahn. Eine Klausur mit dem gemeinsamen Ziel, das Beste für die Neusässer Bevölkerung und die schonendste Variante für Natur und Mensch zu finden und in Berlin einzufordern, ist unabdingbar.

Die Pandemie:
Die Pandemie bestimmt unser Leben, privat, beruflich und in unserer ehrenamtlichen Arbeit. Impfangebote und Möglichkeiten zur Testung werden von unserer Stadt bestmöglich umgesetzt. Dafür vielen Dank!
Ein allgemeines Ziel der Bundes- und Staatsregierung war und ist die Verhinderung von Schul- und Kitaschließungen. Dafür ist aber notwendig, dass die Belüftungssituation an den Schulen und Kindergärten optimiert wird. Bedauerlich ist, dass dieses Ziel mit so viel Zeitverzögerung behandelt wird. Die Lösung des Problems, dauerhafte Raumlüftungsanlagen zu installieren, wurde inzwischen beschlossen. Dass unser grüner Antrag dabei hilfreich war, wurde sogar lobend erwähnt. Unverständlich ist dabei, warum nur eine Schule pro Jahr von dieser Verbesserung profitieren kann. Haben wir wirklich vier Jahre Zeit, bis die pandemische Lage in allen Einrichtungen verbessert wird? Wer möchte sein Kind schon in einer Grundschule haben, die erst in drei oder vier Jahren umgerüstet wird? Dies gilt natürlich auch für Kindertagesstätten.
Im Rahmen der Pandemie bleiben Restrisiken: durch fehlerhafte Tests, ungeimpfte Mitbürgerinnen und neue Mutationen. Direkte Sicherheit geht immer noch vor: Wir Stadträtinnen sollten beispielhaft in unserem Verhalten zeigen, dass Mindestsicherheit durch Abstandhalten, korrektes Tragen der Mund-Nasen-Maske und freiwillige Testung selbstverständlich sein sollen. In diesem Zusammenhang fordere ich alle Stadtratskolleg*innen auf, dies zu berücksichtigen. Gerade die Mund-Nasen-Maske ist nur wirksam, wenn man sie auch vor Mund und Nase trägt und nicht nur in der Hand mit sich führt.

Alle unsere Anträge, Forderungen und Anregungen kosten Geld. Doch dieses Geld sollten wir in die Hand nehmen, um der Zukunft eine Chance zu geben.
Der diesjährige Haushalt hat sich solide und bei aller Vorsicht kraftvoll dargestellt. Wir sollten behutsam, aber mutig mit diesen Möglichkeiten umgehen. Eine schwarze Null scheint in Zeiten großer Herausforderungen und drohender Verwahrentgelte eher ideologisch.
Den Klimaschutz als zentrales Thema, mit all seinen Facetten müssen wir viel stärker in den Fokus nehmen.
Wir stimmen dem Haushaltsentwurf 2022 zu.

Wir danken den Damen und Herren der Verwaltung für ihre geleistete Arbeit unter den erheblich erschwerten Bedingungen dieses und sicher leider auch des kommenden Jahres.
Ich hoffe, dass die großen Herausforderungen der Zukunft und der Gegenwart, die unsere Zusammenarbeit und unseren Zusammenhalt im Rat erfordern, auch unseren Umgangston und den Respekt untereinander verbessern. Ich würde mich freuen, wenn ein kollegialer Stil wieder Eingang in den Neusäßer Stadtrat fände.
Vielen Dank!